EGMR v. 15.2.2024 -19920/20

Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Slowenien: Vorratsdatenspeicherung

Die systematische und wahllose Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten in einem Verfahren gegen einen Richter wegen Bestechung verletzte das Recht auf Privatsphäre. (Škoberne gegen Slowenien)

Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist ein ehemaliger Richter. Er wurde 2011 wegen der mutmaßlichen Annahme von Bestechungsgeldern mit dem Ziel, in einem Strafverfahren gegen eine Person, Ć., zu intervenieren, verhaftet. Zwei weitere Personen, R. und S., wurden zur gleichen Zeit verhaftet, weil sie als Mittelsmänner fungierten. Der Beschwerdeführer wurde Ende 2013 verurteilt. Die Verurteilung stützte sich unter anderem auf die Aussagen von Ć. bei der Polizei, die durch die Aussagen von S. während der Ermittlungen bestätigt wurden. Die von Telekommunikationsanbietern zur Verfügung gestellten und von der Polizei ausgewerteten Daten über den Telekommunikationsverkehr und den Standort des Beschwerdeführers waren ebenfalls Teil der von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise. Sämtliche Rechtsmittel gegen die Verurteilung bis vor den Obersten Gerichtshof sowie zwei Verfassungsbeschwerden des Beschwerdeführers blieben erfolglos. Er hatte unter anderem geltend gemacht, dass sich das erstinstanzliche Gericht bei seiner Verurteilung auf Daten gestützt hatte, die von Anbietern elektronischer Kommunikation stammten, die damals gesetzlich verpflichtet gewesen waren, die Daten für einen Zeitraum von 14 Monaten zu speichern. Die Rechtsmittelgerichte wiesen den Vortrag des Beschwerdeführers mit den Argumenten zurück, dass auf die fraglichen Daten zugegriffen worden war, bevor die Vorratsdatenspeicherung durch ein Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2014 für ungültig erklärt wurde, und dass die Gerichtsbeschlüsse, die den Zugriff genehmigten, auf dem Verdacht beruhten, dass eine schwere Straftat begangen worden war.

Die Gründe:
Der EGMR stellte zunächst fest, dass es mit Blick auf den konkreten Sachverhalt keinen Grund gebe, die gerichtlichen Anordnungen in Frage zu stellen, die von der Polizei in Bezug auf die Telekommunikationsverkehrs- und Standortdaten des Beschwerdeführers erwirkt worden waren. Das slowenische Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung habe die Anbieter elektronischer Kommunikation verpflichtet, Kommunikationsdaten über Festnetz- und Mobiltelefonie aus Gründen des öffentlichen Interesses für einen Zeitraum von 14 Monaten zu speichern. Für die Vorratsspeicherung der Telekommunikationsdaten des Beschwerdeführers habe es somit eine hinreichend klare Rechtsgrundlage gegeben. Die Speicherung sei auch mit dem damals geltenden Recht vereinbar gewesen, da die Diensteanbieter den Behörden nur die Daten ausgehändigt hätten, die innerhalb der 14-monatigen Frist gespeichert worden waren. Zudem sei mit der Beeinträchtigung der Rechte des Beschwerdeführers das legitime Ziel verfolgt worden, Straftaten zu verhindern und die Rechte und Freiheiten anderer zu schützen.

Mit Blick auf das damals geltende slowenische Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung äußerte der EGMR hingegen erhebliche Bedenken: Jede natürliche oder juristische Person, die damals die Dienste von Telekommunikationsanbietern in Slowenien nutzte, habe davon ausgehen müssen, dass ihre Daten gespeichert werden. Diese Beeinträchtigung des Rechts auf Privatsphäre sei sehr schwerwiegend gewesen, weswegen die gesetzliche Verankerung von Schutzmechanismen und Kriterien zur Vermeidung von Missbrauch und zur Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen auf Grundlage des Gesetzes erforderlich gewesen sei. Es habe im slowenischen Recht damals jedoch keinerlei entsprechende Vorschriften gegeben. Eine solche systematische, allgemeine und wahllose Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten habe daher nicht als im Rahmen des in einer demokratischen Gesellschaft Erforderlichen angesehen werden können und die Regelung nicht den Verpflichtungen des Staates nach Art. 8 EMRK entsprochen. Folglich sei auch der Zugang zu diesen Daten und deren Verarbeitung nicht mit Art. 8 EMRK vereinbar gewesen. In dem Zeitpunkt, in dem die Telekommunikationsdaten des Beschwerdeführers gespeichert worden waren, habe er nicht den Rechtsschutz genossen, auf den er nach der EMRK Anspruch hatte.

Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Der Gerichtshof bejahte daneben einstimmig einen Verstoß gegen die durch Art. 6 EMRK gewährten Verfahrensgarantien vor Gericht.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.04.2024 10:48
Quelle: Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

zurück zur vorherigen Seite