EGMR v. 22.12.2020 - 41723/14 (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft und publisuisse SA gegen Schweiz)

Schweiz: Verpflichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders zur Ausstrahlung eines das öffentliche Interesse betreffenden Werbespots verletzte nicht dessen Meinungsfreiheit

Die den Beschwerdeführerinnen auferlegte Verpflichtung zur Schaltung eines Werbespots, der ihrer Ansicht nach ihren Ruf schädigte, stellte keinen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Recht auf freie Meinungsäußerung dar und war in einer demokratischen Gesellschaft notwendig i.S.d. Art. 10 Abs. 2 EMRK.

Der Sachverhalt:
Die erste Beschwerdeführerin (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, SRF) ist ein auf Grundlage einer staatlichen Konzession Schweiz-weit tätiges öffentlich-rechtliches Fernseh- und Hörfunkunternehmen, die zweite Beschwerdeführerin (publisuisse, ps) war bis zur Übernahme ihrer Tätigkeit durch ein anderes Unternehmen im Jahr 2016 als zu 99,8% von der SRF gehaltenes Werbevertriebsunternehmen tätig.

Strittig war vorliegend ein Fernsehspot des Vereins gegen Tierfabriken (VgT), der über ps zur Ausstrahlung bei SRF gebucht worden war. Eine erste Version mit der Aussage „Was andere Medien totschweigen“ war Ende 2011 ausgestrahlt worden. Einer zweiten Version mit der Aussage „Was das Schweizer Fernsehen totschweigt“ wurde die Genehmigung durch ps mit Verweis auf ihre AGB mit der Begründung verweigert, dass sie geschäfts- und imageschädigend sei.

VgT legte daraufhin Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen gegen SRF ein und rügte deren Weigerung als Form der Zensur, jedoch ohne Erfolg. Der daraufhin angerufene Bundesgerichtshof gab VgT hingegen im Dezember 2013 u.a. mit Verweis auf dessen Informationsfreiheit Recht. Gegen die damit einhergehende Pflicht zur Schaltung wenden sich SRF und ps mit ihrer Beschwerde zum EGMR.

Die Gründe:
Der EGMR war der Ansicht, dass die Verpflichtung zur Ausstrahlung des streitigen Werbespots einen behördlichen Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer auf freie Meinungsäußerung dargestellt habe. Er hielt fest, dass der Eingriff durch verfassungsrechtliche Vorgaben, wonach jeder, der eine Aufgabe im Auftrag des Staates wahrnimmt, verpflichtet sei, die Grundrechte zu achten und zu ihrer Verwirklichung beizutragen, gesetzlich vorgesehen sei. Dies gelte vorhersehbar auch für Rundfunkanbieter, die auf Grundlage einer Konzession tätig seien.

Der EGMR betrachtete insbesondere den Inhalt und Charakter des Werbespots, bei dem weniger das übliche kommerzielle Interesse, sondern vielmehr der Tierschutz und damit ein Aspekt, der eine Debatte von allgemeinem Interesse betreffe, im Fokus gestanden habe. Wegen der besonderen Stellung von SRF in der schweizerischen Medienlandschaft mit größerer Reichweite als Privatsender sei sie verpflichtet, kritische Meinungen zuzulassen und ihnen auf ihren Sendekanälen ein Ventil zu bieten, auch wenn es sich dabei um Informationen oder Ideen handele, die beleidigend, schockierend oder verstörend seien. Dies sei das Gebot des Pluralismus, der Toleranz und der Weltoffenheit, ohne die es keine demokratische Gesellschaft gebe. Der EGMR bekräftigt in diesem Zusammenhang die besondere Rolle der audiovisuellen Medien, die aufgrund ihrer Fähigkeit, Botschaften durch Ton und Bild zu vermitteln, eine unmittelbarere und stärkere Wirkung als Printmedien hätten.

Zudem sei es für die Fernsehzuschauer offensichtlich gewesen, dass der Werbespot die Meinung eines Dritten darstelle. Der Spot sei zwar sehr provokant dahingehend gewesen, dass er ausdrücklich andeutete, dass es SRF war, die Informationen unterdrückte, aber es handele sich eindeutig um einen Werbespot, der nichts mit dem Programmangebot der SRF zu tun habe, sondern vielmehr auch dem Recht auf freie Meinungsäußerung des VgT zur Geltung verhelfe, die auch Kritik an privaten Unternehmen, die eine Aufgabe im Auftrag des Staates wahrnehmen, erlaube.
Demnach hielt der EGMR einstimmig fest, dass keine Verletzung von Art. 10 EMRK vorläge.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.03.2021 14:42
Quelle: Sebastian Zeitzmann, LL.M., Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken

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