EGMR, Urt. v. 11.3.2021 – 62639/12 (Dimitriou gegen Griechenland)

Griechenland: Zivilrechtliche Verurteilung auf Zahlung von Schadensersatz an ehemaligen Bürgermeister wegen behaupteter Persönlichkeitsverletzung durch Veröffentlichung eines Zeitungsartikels verletzte Meinungsfreiheit

Die zivilrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers zu Schadensersatz wegen einer behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzung eines ehemaligen Bürgermeisters durch einen Zeitungsartikel war ungerechtfertigt. Die umstrittenen Aussagen seien nicht im Gesamtkontext gewürdigt worden, insbesondere mit Blick auf vorherige öffentliche Äußerungen des Bürgermeisters. Daher wurde eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK bejaht.

Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Vorsitzender des Verwaltungsrats bzw. Eigentümer zweier Unternehmen, deren Hauptaktionär er zudem ist und denen der lokale kretische Fernsehsender Kriti TV bzw. die lokale kretische Zeitung Nea Kriti gehört. E. K., früherer Bürgermeister der kretischen Hauptstadt Heraklion, ein ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und zu diesem Zeitpunkt selbst Inhaber einer Zeitung, hatte sich telefonisch in einem anderen Fernsehsender kritisch über die Finanzierung der Unternehmen des Beschwerdeführers geäußert. Seine diesbezüglichen Angaben waren unzutreffend, da er sich auf amtliche Unterlagen stützte, die – aufgrund ungenau erteilter Auskünfte durch die Unternehmen des Beschwerdeführers – inhaltlich veraltet gewesen waren. Der Beschwerdeführer sah darin absichtlich verleumderische Aussagen und veröffentlichte am Folgetag in Nea Kriti einen Artikel, in dem er die Behauptungen von E. K., „der andere durch den Dreck ziehe“, bestritt und ihn als Angeklagten in einem anderen Verleumdungsfall darstellte. E. K. wies seinerseits in einem Zeitungsartikel die Anschuldigungen zurück und warf dem Beschwerdeführer unwahre Aussagen vor. Ein von diesem eingeleitetes, auf Schadensersatz gerichtetes zivilrechtliches Verfahren gegen E. K. wurde in allen Instanzen abgewiesen. Parallel hatte eine eigene Schadensersatzklage von E. K. gegen den Beschwerdeführer wegen behaupteter Verleumdung und Beleidigung durch den Artikel in Nea Kriti der Sache nach Erfolg. Das Urteil zur Zahlung von 15.000 € an E. K. wurde im Instanzenzug bestätigt.

Die Gründe:
Dass ein Eingriff in Art. 10 EMRK vorlag, war zwischen allen Beteiligten unbestritten. Er sei auch gesetzlich vorgesehen gewesen. Mit dem Schutz des Ansehens oder der Rechte Anderer habe dem Eingriff nach Ansicht des Gerichtshofes auch ein legitimes Ziel vorgelegen.

Der Gerichtshof verwies auf seine anerkannten Grundsätze zu der herausragenden Rolle der Presse in einer demokratischen Gesellschaft als „Wachhund“ (einschließlich der journalistischen Möglichkeit, ein gewisses Maß an Übertreibung, ja sogar Provokation zu verwenden), der Unterscheidung zwischen Tatsachen und Werturteilen und der weiter gesteckten Grenzen zulässiger Kritik bei jeder Person, die - wie insbesondere Politiker - durch ihre Handlungen oder ihre Position eine solche des öffentlichen Lebens darstellt, was eine größere Toleranz dieser Personen erfordere. Der Gerichtshof betonte aber auch das Erfordernis einer sachgerechten Abwägung zwischen dem Schutz der freien Meinungsäußerung aus Art. 10 EMRK einerseits und dem Schutz des Ansehens, das als Element des Privatlebens durch Art. 8 der Konvention geschützt ist, andererseits.

Im vorliegenden Fall hielt der EGMR fest, dass die fragliche Formulierung eher ein nicht beweisbares Werturteil darstelle, das aber wegen der telefonischen Fernsehzuschaltung des E. K. nicht jeder sachlichen Grundlage entbehre. Wenn die falsche Darstellung der Tatsachen auch absichtslos erfolgt sei, sei der Beschwerdeführer bei Veröffentlichung seines Artikels davon überzeugt gewesen, dies sei bewusst geschehen. Dieser Zusammenhang und der Charakter des Artikels als Replik seien von den innerstaatlichen Gerichten nicht ausreichend gewürdigt und die Aussagen nicht in ihrem Kontext bewertet worden. Innerstaatliche Gerichte seien aber gerade aufgerufen zu prüfen, ob der Kontext des Falles, das öffentliche Interesse und die Absicht des Verfassers der angegriffenen Äußerungen die mögliche Verwendung eines bestimmten Maßes von Provokation oder Übertreibung rechtfertigten, insbesondere wenn sie sich gegen einen früheren Politiker richteten. Zudem hätten die innerstaatlichen Gerichte bei Festsetzung der Höhe des Schadensersatzes zwar in allgemeiner Weise die berufliche, soziale und finanzielle Situation der Parteien berücksichtigt, allerdings keine konkrete Analyse der finanziellen Situation des Beschwerdeführers vorgenommen.

Demnach bejahte der EGMR einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.04.2021 13:28
Quelle: Sebastian Zeitzmann, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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