EGMR, Urt. v. 12.10.2021 - 4358/19 und Urt. v. 21.9.2021 - 47274/19

Meinungsfreiheit – Republik Moldau und Serbien: EGMR zu behaupteten Verleumdungen in Presseerzeugnissen

Der EGMR hat mit zwei Urteilen zur Reichweite der Meinungsfreiheit im Hinblick auf behauptete Verleumdungen in Presseerzeugnissen Stellung genommen. Während in einem - verfahrenstechnisch bemerkenswerten - moldauischen Fall (4358/19 - The Association of Investigative Reporters and Editorial Security of Moldova und Sanduța gegen Republik Moldau) eine Verletzung des Art. 10 EMRK bestätigt wurde, hat der Gerichtshof einen solchen Verstoß zu einem serbischen Sachverhalt (47274/19 - Milosavljević gegen Serbien (Nr. 2)) verneint.

Der Sachverhalt (4358/19):
Die Beschwerdeführer sind eine moldauische Nichtregierungsorganisation und ein Journalist. Sie hatten im Vorfeld der dortigen Präsidentschaftswahlen 2016 einen Artikel veröffentlicht, wonach es eine Finanzierung der Sozialistischen Partei der Republik Moldau (SP) des späteren Wahlsiegers Igor Dodon durch eine Offshore-Gesellschaft mit russischen Verbindungen gegeben habe. Die SP reichte daraufhin eine zivilrechtliche Verleumdungsklage gegen die Beschwerdeführer ein und argumentierte, dass Dodon von den Wahlen ausgeschlossen worden wäre, wenn die Vorwürfe zutreffend gewesen wären. Die Beschwerdeführer verteidigten sich damit, dass ihr Beitrag Beweise für das Vorbringen enthalten habe. Das mit der Klage befasste Gericht stimmte dem Vortrag der SP zu, wonach der Artikel verleumderisch gewesen sei. Die Beschwerdeführer wurden verurteilt, einen Widerruf mit der Einräumung der Unwahrheit des Artikels zu veröffentlichen und der SP Kosten und Auslagen (umgerechnet etwa 10 Euro) zu erstatten. Rechtsmittel vor dem Berufungsgericht Chișinău und dem Obersten Gerichtshof blieben erfolglos.

Nachdem der EGMR die moldauische Regierung von der bei ihm eingegangenen Beschwerde in Kenntnis gesetzt hatte, stellte der moldauische Regierungsvertreter beim EGMR im Jahr 2018 einen Revisionsantrag beim Berufungsgericht Chișinău gegen dessen Rechtsmittelurteil und das zugrundeliegende Urteil in erster Instanz. Das Berufungsgericht gab dem Antrag im Jahr 2020 teilweise statt und hob das Urteil, in dem die Beschwerdeführer der Verleumdung für schuldig befunden worden waren, auf und wies die ursprüngliche Verleumdungsklage als unbegründet ab. Entgegen einer entsprechenden Forderung im Revisionsantrag stellte es aber eine Verletzung von Art. 10 EMRK nicht ausdrücklich fest und sprach den Beschwerdeführern keine Entschädigung zu. Der EGMR entschied ungeachtet der Aufhebung des innerstaatlichen Urteils über die bei ihm eingegangene Beschwerde.

Die Gründe (4358/19):
Der EGMR bewertete das die Verleumdungsklage abweisende Revisionsverfahren als implizites Anerkenntnis einer Verletzung von Art. 10 EMRK. Er entschied jedoch, dass die Beschwerdeführer trotz dieses Verfahrens im Gegensatz zur üblichen Praxis keine ausreichende Wiedergutmachung erhalten hätten, da das Berufungsgericht keine Entschädigung zugesprochen habe. Die Abweisung der Verleumdungsklage selbst sei dafür nicht ausreichend. Der EGMR lehnte eine Abweisung der ihm vorgelegten Beschwerde wegen fehlender Opfereigenschaft daher ab. In der Sache sah der EGMR in Anbetracht seiner eigenen Rechtsprechung und der Feststellung, dass die innerstaatlichen Gerichte im Ausgangsverfahren keine ordnungsgemäße Abwägung vorgenommen hätten, keine Veranlassung, von der impliziten Schlussfolgerung durch das Berufungsgericht, Art. 10 EMRK sei verletzt, abzuweichen und hielt es nicht für erforderlich, die Begründetheit der Beschwerde erneut zu prüfen. Die Entscheidung erging einstimmig.

Die Beschwerde (47274/19):
Der Beschwerdeführer ist Chefredakteur eines serbischen wöchentlichen Nachrichtenmagazins. Seine Beschwerde betrifft eine zivilrechtliche Verleumdungsklage u.a. gegen ihn und das Magazin wegen der Veröffentlichung eines Artikels, in dem Korruption bei der Verwaltung des städtischen Friedhofs vorgeworfen wurde. Die innerstaatlichen Gerichte hielten fest, dass der Artikel die Ehre und den Ruf des Friedhofsleiters (A.) geschädigt habe, und verurteilten die Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung zuzüglich Kosten in Höhe von umgerechnet rund 1.241 Euro. Der EGMR verneinte einstimmig eine daraus resultierende Verletzung von Art. 10 EMRK. Zwar habe der Artikel eindeutig eine Frage von öffentlichem Interesse betroffen und A. sei zum maßgeblichen Zeitpunkt eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens gewesen. Allerdings habe der Artikel mit seiner Zielrichtung, die Person von A. herabzusetzen, gegen die einschlägigen journalistischen und ethischen Normen verstoßen und eine Verletzung der Ehre und des Rufes von A. bewirkt.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.10.2021 11:04
Quelle: Sebastian Zeitzmann, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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