EGMR v. 20.11.2022 - 63539/19

Meinungsfreiheit - Frankreich: Anstiftung zur Diskriminierung und zum religiösen Hass gegen die muslimische Gemeinschaft

Der EGMR bestätigt die Vereinbarkeit einer strafrechtlichen Verurteilung des früheren französischen Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour wegen Hassrede mit Art. 10 EMRK. (Zemmour gegen Frankreich)

Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist ein bekannter politischer Journalist und Kritiker. Er veröffentlichte mehrere Bücher über Politik, bevor er im Jahr 2021 aktiv in die Politik eintrat und 2022 bei den Wahlen zum französischen Staatspräsidenten kandidierte. Im September 2016 war er Gast in einer Live-Fernsehsendung auf dem landesweit ausgestrahlten Sender France 5, um für sein damaliges Buch zu werben. Seine in der Sendung gegen den Islam gerichteten Äußerungen zogen ein Strafverfahren wegen Aufstachelung zur Diskriminierung, zum Hass oder zur Gewalt gegen eine Person oder Gruppe aus Gründen der Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse oder Religion nach sich. Der Beschwerdeführer wurde im Sinne der Anklage zu einer Geldstrafe i.H.v. 5.000 € verurteilt, die vor dem Berufungsgericht auf 3.000 € reduziert wurde. Weitere Rechtsmittel blieben erfolglos.

Die Gründe:
Der EGMR hielt zunächst fest, dass die Äußerungen des Beschwerdeführers aufgrund seiner Bekanntheit und seiner Person sowie aufgrund der Art der in dem Interview erörterten Fragen, die den Stellenwert des Islam in der französischen Gesellschaft, insbesondere vor dem Hintergrund terroristischer Gewalt, betrafen, im Rahmen einer Debatte über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse getätigt worden waren, wobei die Äußerungen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen oder sie erheblich beunruhigen konnte. Dabei schloss sich der Gerichtshof innerstaatlichen Gerichten in ihrer Bewertung an, dass die fraglichen Äußerungen abwertende und diskriminierende Behauptungen enthielten, die zur Ablehnung und Ausgrenzung von Muslimen aufgerufen hätten und geeignet seien, eine Kluft zwischen den Franzosen und der muslimischen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit zu verschärfen. Insbesondere sei die aggressive, pauschale Sprache der Behauptung, Frankreich werde von „Muslimen“ „kolonisiert“, in diskriminierender Absicht und nicht nur zu dem Zweck verwendet worden, der Öffentlichkeit eine Meinung über die Zunahme des religiösen Fundamentalismus in den französischen Stadtrandvierteln mitzuteilen. Die fraglichen Äußerungen gehörten somit nicht zu einer Kategorie von Äußerungen, die nach Art. 10 EMRK einen erhöhten Schutz genießen. Die französischen Behörden hätten daher über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, um Beschränkungen aufzuerlegen. In diesem Zusammenhang bekräftigte der EGMR die entscheidende Bedeutung der Bekämpfung der Rassendiskriminierung in all ihren Formen und Ausprägungen.

Die fraglichen Äußerungen seien in einer Live-Sendung zur Hauptsendezeit getätigt worden und hätten somit ein breites Publikum erreichen können. Der Gerichtshof betonte in diesem Zusammenhang die unmittelbare und starke Wirkung der Rundfunkmedien, die durch die fortdauernde Funktion von Radio und Fernsehen als vertraute Unterhaltungsquellen in der häuslichen Umgebung noch verstärkt werde. Obwohl der Beschwerdeführer in der Sendung auch als Buchautor sprach, sei er in seiner Funktion als Journalist und Meinungsmacher nicht von den Pflichten und Verantwortlichkeiten eines Journalisten befreit gewesen. Er sei trotz des unverblümten Charakters der an ihn gerichteten Fragen durchaus in der Lage gewesen, seine Worte abzuwägen und ihre Folgen abzuschätzen. Seine Äußerungen hätten sich nicht auf Kritik am Islam beschränkt, sondern seien angesichts des Kontextes terroristischer Gewalt, in dem sie gefallen seien, in diskriminierender Absicht erfolgt, um die Zuschauer zur Ablehnung und Ausgrenzung der muslimischen Gemeinschaft aufzurufen. Die innerstaatlichen Gerichte hätten die Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer Geldstrafe ausreichend und sachgerecht begründet. Zudem sei die Strafe nicht übermäßig hoch ausgefallen.

Folglich kam der EGMR zum Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war, um die Rechte anderer zu schützen, die in diesem Fall auf dem Spiel standen.

Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK.

 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.01.2023 14:49
Quelle: Sebastian Zeitzmann, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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