EGMR v. 9.2.2023 - 58951/18 und 1308/19

Meinungsfreiheit - Frankreich: Von der Rundfunkregulierungsbehörde verhängte Sanktionen wegen der Inhalte einer Fernsehsendung

Der EGMR bewertet Fernsehinhalte des französischen Senders C8 als Frauen und homosexuellen Menschen gegenüber negativ und stigmatisierend. (C8 gegen Frankreich)

Der Sachverhalt:
Das beschwerdeführende Unternehmen, C8 (Canal8), ist ein französischer Fernsehsender. Eines seiner Formate ist „Touche pas à mon poste“ (etwa: „Rühr meinen Fernseher nicht an“), eine Unterhaltungssendung, die sich mit aktuellen Ereignissen aus der Welt des Fernsehens und der Medien beschäftigt. Moderiert von H., besteht sie aus Diskussionen zwischen eingeladenen Gästen über die neuesten Fernsehnachrichten, die von Spielen und Comedy-Einlagen unterbrochen werden. Die Sendung hat mehrfach Kontroversen ausgelöst und war jenseits der vorliegend beschwerdegegenständlichen Inhalte Gegenstand zahlreicher Zuschauerbeschwerden an die damalige französische Rundfunkregulierungsbehörde CSA.

Am 7.12.2016 um 20.45 Uhr strahlte C8 im Rahmen des Formats einen Clip aus, in dem H. vorgab, ein Spiel zu spielen und einen weiblichen Gast der Sendung dazu veranlasste, mit geschlossenen Augen ihre Hand im Bereich seiner Genitalien auf seine Hose zu legen, ohne dass sie sichtbar gewarnt worden war oder ihre Zustimmung gegeben hatte. Der Clip führte zu mehr als 1.350 Beschwerden bei der CSA. Diese sanktionierte C8 daraufhin, indem sie die gesamte Werbung während und für die 15 Minuten vor und nach allen Folgen des Formats für zwei Wochen aussetzte.

In einer weiteren Folge des Formats sprach H. am 18.5.2017 ab 23.25 Uhr live auf Sendung mit sieben männlichen Anrufern, die sich auf eine von ihm auf einer Dating-Website aufgegebene Kleinanzeige meldeten. In dieser ging es um die Suche nach „tabulosen Beziehungen“ eines vermeintlich bisexuellen Mannes und seinen Vorlieben. Die französische Regierung gab an, dass die Stimmen der Anrufer in der Sendung offenbar nicht verändert worden seien. In diesem Zusammenhang gingen mehr als 25.000 Beschwerden bei der CSA ein, die gegen C8 eine Geldstrafe i.H.v. 3 Mio. € verhängte.

Rechtsmittel gegen beide Sanktionen der CSA blieben erfolglos. In Anbetracht des ähnlichen Gegenstands der Beschwerden beschloss der EGMR, sie gemeinsam zu prüfen.

Die Gründe:
Der EGMR hielt fest, dass die beschwerdegegenständlichen Inhalte im Rahmen einer rein unterhaltungsorientierten Fernsehsendung gezeigt worden waren, deren einziges Ziel es sei, ein möglichst großes Publikum zum Zweck des kommerziellen Gewinns anzuziehen. Das beanstandete Filmmaterial habe keine Informationen, Meinungen oder Ideen im Sinne von Art. 10 EMRK enthalten, und es habe in keiner Weise zu einer Debatte über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse beigetragen. Es habe nicht nur dem Frauenbild geschadet, sondern auch Homosexuelle stigmatisiert. Zudem stelle die Ausstrahlung von Äußerungen einer Person über ihre sexuellen Vorlieben und Praktiken oder ihre sexuelle Anatomie im Fernsehen, ohne ihre vorherige Zustimmung einzuholen und ohne Vorkehrungen zur Verschleierung ihrer Identität zu treffen, eindeutig einen Eingriff in ihr Privatleben dar. Der Staat, gegen den sich die vorliegenden Beschwerden richteten, habe daher über einen weiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung verfügt, ob es notwendig war, das antragstellende Unternehmen zu sanktionieren, um die Rechte anderer zu schützen.

Das beanstandete Filmmaterial habe zwar humorvoll und Teil einer rein auf Unterhaltung ausgerichteten Fernsehsendung sei sollen. Ausdrucksformen, die sich des Stilmittels des Humors bedienen, seien zwar durch Art. 10 EMRK geschützt, unterlägen jedoch den in dessen Abs. 2 festgelegten Einschränkungen. Das Recht auf Humor bedeute nicht, dass alles erlaubt sei, und jeder, der die Vorteile der Meinungsfreiheit in Anspruch nehme, übernehme auch Pflichten und Verantwortung.

Der Gerichtshof sah keinen Grund, von der Beurteilung der CSA und der innerstaatlichen Gerichte abzuweichen. Sie sei auf sachgerechte und ausreichende Gründe gestützt. In Bezug auf den ersten Teil des Filmmaterials hätten die Darstellung des anzüglichen Spiels des Moderators, der der Star der Sendung sei, und eines seiner weiblichen Gäste sowie die damit verbundenen vulgären Bemerkungen ein negatives und stigmatisierendes Klischee von Frauen aufrechterhalten. In Bezug auf das zweite Filmmaterial habe der Telefonstreich aufgrund seines Hauptzwecks sowie der Haltung des Moderators und der Position, in die er seine Opfer bewusst versetzt hatte, ein negatives und stigmatisierendes Klischee von homosexuellen Menschen aufrechterhalten.

Von Relevanz sei vorliegend auch das Verhalten des Senders C8, der insbesondere mit dem Format „Touche pas à mon poste“ bereits mehrfach gegen seine rechtlichen Verpflichtungen verstoßen und die daraufhin ergangenen Verwarnungen und Vollstreckungsbescheide missachtet habe. Hinzu komme, dass die Sendung, wie von der CSA hervorgehoben und von der Regierung unterstrichen, besonders bei jüngeren Zuschauern beliebt sei, sodass eine beträchtliche Anzahl von Minderjährigen und jungen Erwachsenen mit Material in Berührung gekommen sei, das schädliche Darstellungen von Frauen und Homosexuellen verharmlost habe.

Mit Blick auf die Strenge der verhängten Sanktionen stellte der EGMR fest, dass ihr unbestreitbar schwerwiegender finanzieller Charakter vorliegend dem rein kommerziellen Zweck des mit ihnen geahndeten Verhaltens besonders angemessen gewesen sei. Zudem hätte die CSA noch härtere Maßnahmen ergreifen können, nämlich die Rundfunklizenz von C8 oder einen Teil seines Programms für bis zu einen Monat auszusetzen, die Lizenz von C8 um bis zu einem Jahr zu kürzen, eine Geldstrafe zusammen mit einer solchen Aussetzung zu verhängen oder die Lizenz gänzlich zu entziehen.

Unter Berücksichtigung der Wirkung des Filmmaterials, insbesondere auf jüngere Zuschauer, der bisherigen Verstöße des beschwerdeführenden Unternehmens gegen Rechtsvorschriften, der Verfahrensgarantien, die C8 gemäß der innerstaatlichen Rechtsordnung genossen hatte, und des weiten Beurteilungsspielraums, der dem Staat zuzubilligen, ist kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die gegen C8 verhängten Sanktionen nicht gegen sein Recht auf freie Meinungsäußerung verstoßen hatten.

Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.02.2023 10:52
Quelle: Sebastian Zeitzmann, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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