EGMR v. 31.8.2023 - 47833/20

Meinungsfreiheit - Griechenland: Homophober Artikel eines hohen Offiziellen der griechisch-orthodoxen Kirche

Worte und der Kontext, in dem sie veröffentlicht wurden, müssen berücksichtigt werden, um festzustellen, ob ein Text in seiner Gesamtheit als Aufforderung zur Gewalt angesehen werden kann. (Lenis gegen Griechenland)

Der Sachverhalt:
Am 4.12.2015 veröffentlichte der Beschwerdeführer, der zu dieser Zeit der Metropolit (entspricht einem Erzbischof) von Kalavryta und Aigialeia in Griechenland war, auf seinem persönlichen Blog einen gegen Homosexuelle gerichteten Artikel mit dem Titel „DER ABSCHAUM DER GESELLSCHAFT HAT SEIN HAUPT AUFGERICHTET! [...] SPUCKEN WIR AUF SIE“. Das griechische Parlament debattierte zu diesem Zeitpunkt über einen Gesetzesvorschlag zur Einführung von Lebenspartnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare. Der Text des Artikels wurde von mehreren Websites, Medien und sozialen Medien wiedergegeben. Am 21.12.2015 veröffentlichte der Beschwerdeführer einen weiteren Artikel auf seinem Blog, um klarzustellen, dass er nicht zu Gewalt aufgerufen, sondern Politiker ins Visier genommen habe und dass sein sein ursprünglicher Artikel in den Medien falsch wiedergegeben worden sei. Der Beschwerdeführer wurde dennoch wegen öffentlicher Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten auf Bewährung verurteilt. Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.

Die Gründe:
Der EGMR hielt eingangs fest, dass keine Anhaltspunkte vorlägen, wonach die innerstaatlichen Gerichte ihre zur Verurteilung des Beschwerdeführers führenden, auf eingehenden Prüfungen beruhenden, Feststellungen nicht auf eine vertretbare Würdigung der relevanten Tatsachen gestützt hatten.

Der Beschwerdeführer habe sich in seinem ursprünglichen Artikel harscher Ausdrücke bedient, die so weit gegangen seien, homosexuellen Menschen ihre menschliche Natur abzusprechen. Diese vom EGMR als beleidigend, feindselig und aggressiv charakterisierten Ausdrücke seien über eine bloße Meinungsäußerung hinausgegangen. Auch habe der Beschwerdeführer in dem Artikel wiederholt zur Gewalt aufgerufen. Die verwendeten Äußerungen hätten bei homosexuellen Menschen Stress, Angst und Schrecken auslösen können, da sie in Verbindung mit der Hassrede in dem Artikel zu Gewalt gegen sie hätten aufstacheln können. Viele Zeugen im innerstaatlichen Verfahren hätten ausdrücklich erklärt, dass sie sich als homosexuelle Menschen bedroht gefühlt hätten und dass die Veröffentlichung und Vervielfältigung des Artikels bei ihnen Gefühle der Angst ausgelöst habe.

Der Gerichtshof betonte, dass der Beschwerdeführer, der ein hoher Offizieller der griechisch-orthodoxen Kirche gewesen sei, die Macht gehabt habe, nicht nur seine Gemeinde, sondern auch viele andere Menschen zu beeinflussen, die dieser Religion angehörten, also die Mehrheit der griechischen Bevölkerung. Zudem habe der Beschwerdeführer seine Äußerungen über das Internet verbreitet, wodurch seine Botschaft für eine Vielzahl von Menschen leicht zugänglich gewesen sei. Der Blog des Beschwerdeführers scheine zwar keine große Leserschaft zu haben, aber sein Artikel sei von mehreren Medien wiedergegeben worden und noch immer online zugänglich.

Schließlich hätten sich die Äußerungen unmittelbar auf ein Thema bezogen, das in der modernen europäischen Gesellschaft von großer Bedeutung sei – der Schutz der Würde und des Wertes von Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Ausrichtung. Die Kommentare des Beschwerdeführers hätten sich gegen Homosexuelle gerichtet, die als besonders schutzbedürftig angesehen werden könnten. In diesem Zusammenhang erinnerte der EGMR an seine frühere Rechtsprechung, mit der er festgestellt hatte, dass sexuelle und geschlechtsbezogene Minderheiten aufgrund der Marginalisierung und Viktimisierung, der sie ausgesetzt waren und weiterhin sind, einen besonderen Schutz vor hasserfüllten und diskriminierenden Äußerungen benötigen. Der Gerichtshof verwies auch auf die geringe Akzeptanz von Homosexualität und die Situation von LGBTI-Personen im griechischen Kontext.

Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung sei ebenso schwerwiegend wie eine Diskriminierung aufgrund von Rasse, Herkunft oder Hautfarbe. Es sei unmittelbar klar, dass im Kontext der beschwerdegegenständlichen Äußerungen versucht worden sei, Art. 10 EMRK missbräuchlich heranzuziehen, indem das Recht auf freie Meinungsäußerung für Zwecke eingesetzt werden sollte, die eindeutig den Werten der Konvention zuwiderliefen. Auch wenn die Kritik an bestimmten Lebensstilen aus moralischen oder religiösen Gründen nicht per se vom Schutz des Art. 10 EMRK ausgenommen sei, müsse vorliegend Art. 17 EMRK herangezogen werden, der ein Verbot des Missbrauchs der Rechte aus der EMRK enthält, da die beschwerdegegenständlichen Äußerungen so weit gingen, dass sie LGBTI-Personen ihre menschliche Natur absprachen und mit einer Aufforderung zur Gewalt einhergingen.

Der EGMR erklärte die Beschwerde daher mehrheitlich für unzulässig.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.10.2023 15:33
Quelle: Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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