EGMR (Zweite Sektion), Entscheidung v. 14.04.2024 – 12174/22 (Kirkorov gegen Litauen)

Meinungsfreiheit – Litauen: Einreiseverbot für russisch-bulgarischen Sänger

Im Zuge der Bekämpfung russischer Desinformation und Propaganda durfte einem russisch-bulgarischen Sänger die Einreise nach Litauen für mehrere Jahre verboten werden.

Der Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer, ein bulgarischer und russischer Staatsbürger, ist ein in Moskau lebender Sänger und Musikproduzent. Ihm wurde im Januar 2021 von den litauischen Migrationsbehörden auf Antrag des Außenministeriums die Einreise in das Land für fünf Jahre untersagt, da er als Bedrohung für die nationale Sicherheit angesehen wurde. Die Behörden stellten insbesondere fest, dass er als populärer russischer Sänger und Musikproduzent mit starkem Einfluss in Russland und anderen Staaten der ehemaligen UdSSR ein Instrument der „Soft Power“ darstelle. Zudem unterstütze er durch seine regelmäßigen Konzerte auf der Krim die russische Aggressionspolitik.

Im Zuge seiner dagegen gerichteten Klage machte der Beschwerdeführer vor Gericht vor allem geltend, dass er Künstler sei und sich nicht für Politik interessiere. Seine Lieder handelten von Liebe, menschlichen Beziehungen und der Natur. Die Migrationsbehörden präzisierten vor Gericht ihre Argumentation dahingehend, dass der Beschwerdeführer öffentlich die Botschaft verbreitet habe, dass die „Rückkehr“ der Halbinsel Krim nach Russland „ein glorreiches und siegreiches Ereignis“ sei, zudem habe er sich selbst als „Vertreter Wladimir Putins auf der Bühne“ bezeichnet. Die Klage wurde letztinstanzlich vom Obersten Verwaltungsgericht abgewiesen. Es befand, dass das Verhalten des Beschwerdeführers ein Einreiseverbot rechtfertige. Dieses sei auch nicht unverhältnismäßig, da der Beschwerdeführer keine familiären, sozialen oder wirtschaftlichen Bindungen in Litauen habe und sein Recht, in anderen EU-Mitgliedstaaten Konzerte zu geben, nicht beschnitten worden sei.

Das Verbot ist noch immer in Kraft; seit 2021 darf der Beschwerdeführer nicht mehr nach Litauen einreisen.

Die Gründe:

Der Gerichtshof stellte einleitend fest, dass das Verbot den Beschwerdeführer daran gehindert hatte, Informationen und Ideen in Litauen zu verbreiten, womit eine Beeinträchtigung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK vorlag. Diese Beeinträchtigung habe eine Rechtsgrundlage sowohl nach dem einschlägigen innerstaatlichen Recht als auch nach EU-Recht gehabt und habe mit dem Schutz der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung ein rechtmäßiges Ziel verfolgt.

Die Entscheidung, das Verbot zu verhängen, habe nicht auf Vermutungen, sondern auf objektiven und begründeten Fakten beruht, nämlich auf den Aussagen und dem Verhalten des Beschwerdeführers. Dieser habe nicht bestritten, dass er die Aktionen Russlands auf der Halbinsel Krim unterstütze. Der EGMR verwies daneben auf den Vortrag der litauischen Migrationsbehörden, wonach verschiedene Propagandamittel, darunter das Fernsehen, soziale Netzwerke, Filme und populäre Sänger wie der Beschwerdeführer, von Russland gegen die baltischen Staaten eingesetzt worden seien. Dies sei von den nationalen Gerichten in ihrer Rechtfertigung für das Verbot angeführt worden. Hervorzuheben sei in diesem Zusammenhang, dass sowohl das litauische (in seiner Entschließung von 2002 zur Genehmigung der nationalen Sicherheitsstrategie) als auch das Europäische Parlament (in seiner Entschließung von 2016 zur strategischen Kommunikation der Europäischen Union zur Bekämpfung von gegen sie gerichteter Propaganda) die Notwendigkeit anerkannt haben, russische Desinformation und Propagandakriegsführung aufzudecken.

Nichts deute darauf hin, dass die nationalen Gerichte den Sachverhalt falsch beurteilt oder das Recht willkürlich oder unangemessen angewandt hätten. Zudem sei der Beschwerdeführer zuvor angehört worden. Der EGMR schloss sich abschließend der Argumentation an, dass das Verbot nicht unverhältnismäßig gewesen sei, da es berücksichtigt habe, dass die Rechte des Beschwerdeführers als EU-Bürger nur im Hinblick auf seine Einreise nach Litauen eingeschränkt worden waren und dass er ohnehin keine familiären, sozialen oder wirtschaftlichen Bindungen zu dem Land hatte.

Der EGMR erklärte die Beschwerde mit einer Mehrheit als offensichtlich unbegründet für unzulässig.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.05.2024 10:33
Quelle: Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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